Samstag, 4. Februar 2006

Neurotisch in 12 Schritten

Kennen Sie das auch?

Jemand reist so einen richtigen Kracher von anspruchsvollem Bonmot (in dem Fall ich selbst neulich bei Freunden), und während man gerade das Gefühl hat, jetzt richtig loslegen zu können, hoch oben mit überschäumendem Adrenalin auf der Welle geistreichen Humors zu reiten, unaufhaltsam auf den Strand des Entertainment zuzugleiten, das Rauschen der Brandung wie höfliches Gelächter in den Ohren, just dann kommt irgend so ein Querschläger von Unterströmung daher (und falls Sie es noch nicht gemerkt haben: ich habe von Surfen und Wellenreiten nicht die geringste Ahnung, deswegen stimmen hier auch alle Analogien nicht) und reist einen brutal aus dem Fluss!
„Aaach! Der Hummer! Hahaha! Der Hummer! Habt Ihr gehört? Der Hummer! Wahnsinn! Haha!“,
und das war’s dann mit der Perfekten Welle, man wird vom Brett gerissen und dümpelt genervt zwischen Algen, Teerklümpchen und Treibholz.

Wieso nur um alles in der Welt gibt es solche Leute?
Haben sie mal einen Witz bemerkt und als witzig registriert, müssen sie dies auch sofort der Welt mitteilen, stolz darauf, dass sie Humor als solchen erkennen können, wenn er ihnen begegnet. Es erscheint einem, als ob sie einem inneren Zwang folgen müssten, die soeben verstandene Geistreichheit allen Umstehenden noch mal aufzutischen, immer mit dem leicht unsicheren Flackern im Blick derer, die sich von ihrer Umgebung Bestätigung erhoffen, denn immerhin könnte es ja sein, dass man an der falschen Stelle gelacht hat, oder?
Das hat man wahrscheinlich auch, nur kriegt man das nicht mit, denn während man noch eifrig damit beschäftigt ist, allen Anwesenden zu wiederholen, worüber diese schon beim ersten mal laut und herzhaft vor sich hin geschmunzelt oder vielleicht sogar derbe johlend ihre Schenkel beklatscht hatten (aber eben die eigenen Schenkel, und nicht die der Nachbarn, eine ganz persönliche Erheiterung, die keiner gesellschaftlicher Bestätigung als Anerkennung oder Legitimation bedarf, und sich selbst als Zweck genügt), hat man wahrscheinlich den direkt darauf folgenden Witz, den echten Brüller, für den der erste Kalauer nur ein dezenter Aufwärmer gewesen war, verpasst, übertönt oder gar abgewürgt.

Es ist traurig, und nicht nur für den Humoristen, der hier so schnöde von einem übereifrigen, aber leider zu langsamen Publikum aus dem Takt gerissen wird, sondern auch für besagtes übereifrige, aber leider zu langsame Publikum selbst: Diese armen Menschen sind dazu verdammt, ihr Leben lang über zweitrangige Witze zu lachen, während der eigentliche, bessere Witz nie kommen wird, und dies wahrscheinlich nicht einmal mitzukriegen.

Nun möchte ich mitnichten eben diese Ärmsten aller Armen attackieren, diskriminieren oder gar knebeln (ach nein, doch, das möchte ich eigentlich sogar sehr gerne, aber wie so vieles, was man sehr gerne möchte, darf man das nicht so einfach, es sei denn, man macht daraus irgend eine neue Variante von Sex, und auch dann sollte man besser vorher nachfragen, ob z.B. der U-Bahn-Kontrolleur auch so tierisch drauf abgeht, wenn man vorverdautes Bier auskotzend schwarz fährt), sie haben schon so ein schweres Los.
Nein! Ich möchte hier lieber allen adneren, selbstmitleidenden Alleinunterhaltern ein beherztes „Halt!“ entgegen rufen!
Steigt herab von Euren hohen, äh… na gut, Rössern (mir fällt da jetzt weder etwas tiefsinnigeres noch etwas platteres ein, also halt eben Rösser), haltet einen Moment inne und überlegt Euch mal - denn auch ich habe mir das eben auf dem Nachhauseweg überlegt: Habe ich das nicht vielleicht auch schon mal gemacht? Bin auch ich begriffsstutzig? Habe auch ich schon mal den Alleinunterhalter meines Vertrauens durch nervendes Wiederholen seiner anspruchsvollsten aller Zoten gedemütigt, ungewollt, aber immerhin?
Ja, fragt Euch das und achtet in Zukunft darauf, beobachtet Euch selbst, seid selbstkritisch, reflektiert, ja, reflektiert um Euer Leben! Renn, Forrest, renn!
Wenn Ihr Euch dann dabei ertappt, unterdrückt den Reflex, führt schnell eine Ersatzhandlung aus, wie Blinzeln, Fingerknacken, mit dem Feuerzeug spielen oder Bierdeckel zerkrümeln. Euer zukünftiger Therapeut wird es Euch danken!

Ich trage mich mit dem Gedanken, einen Ratgeber herauszubringen „Neurotisch werden in nur 12 Schritten“, er wird bei einem namhaften Verlag erscheinen, 24 € 95 kosten und ein unverzichtbarer Ratgeber sein in allen Lebenslagen und Situationen, in denen man sich zu sicher durchs Leben bewegt.
Mein Geschenk an die Menschheit! Was wird sie noch wundervolles von mir lernen können!

Nun ist mir gerade etwas schreckliches passiert, verehrter Leser: Ich habe Sie geduzt! Zwar im Plural, aber dennoch geduzt! Ich habe gedankenlos die persönlicher Anrede „Ihr“ und „Euch“ verwendet, gerade als ob wir uns schon ein Leben lang kennen und bei zahllosen Gelegenheiten auf die Schultern klopfen würden. Und dabei habe ich mir so fest vorgenommen, Sie hier zu siezen, denn das wäre höflich und respektvoll gewesen. Man hört und liest (vor allem: liest) ja so vieles in letzter Zeit davon, wie unhöflich es von so vielen empfunden wird, geduzt zu werden, ja geradezu respektlos und menschenverachtend. Nach mühsamsten Recherchen habe ich in Erfahrung bringen können, dass eben jene Leute, die am meisten Wert darauf legen, von anderen gesiezt und mit dem Respekt behandelt zu werden, den sie nach eigener Aussage verdienen, sich auffallend häufig gerade erst seit drei oder zwei Jahren in einem Alter befinden, in denen sie sich geschlechtsspezifische Körperregionen regelmäßig rasieren zu können in der Lage sind (wahrhaftig eine Leistung, die einem wirklichen Respekt abringt), ein Alter, in dem ich damals mehr als irritiert war, wenn ich unerwartet von wildfremden Menschen oder Werbekampagnen gesiezt wurde. Doch die Zeiten haben sich geändert (Lamentation aller missmutigen Greise), heutzutage wollen junge Menschen schon aufgrund der Leistung, es beinahe nicht geschafft zu haben, nicht durchs Abi zu fallen, mit dem nötigen Respekt behandelt werden, jawohl, mein Dame! Jawohl, mein Herr! (Genau! Damit bist Du gemeint! Und Du auch da hinten!)
Diese Entwicklung betrübt mich. Nicht nur, weil ich eigentlich nie von irgendwem gesiezt werden wollte, auch nicht, weil ich endlich in einem Alter bin, in dem ich mir über meinen eigenen Stellenwert und dessen Bestätigung durch bloßes Gesieztwerden keinerlei Illusionen mehr hingeben muss (Zweiunddreißig, nun gut, das ist noch nicht soo viel, aber werden Sie erst mal so alt, Sie pubertärer Schnösel, Sie!), nein, ich bin betrübt aus ganz uneigennützigen Motiven: diese armen, respektiert und gesiezt werden wollenden Jugendlichen werden meinen Ratgeber „Neurotisch werden in nur 12 Schritten“ wohl kaum mehr brauchen! Neurotischer können sie auch mit meiner Hilfe kaum mehr werden!
Ich werde also umdisponieren müssen. Ich könnte mich dem Markt anpassen und Band 2 herausbringen, mit dem Titel „Neurotisch bleiben in nur 100 Schritten“. Ja, das klingt nach einem guten Buch, mit dem man es sich in langen Winterabenden vor dem iPod gemütlich machen kann. In einem der ersten Kapitel werde ich beispielsweise erläutern, wie man es durch einfachste, autosuggestive Übungen schaffen kann, die Zurück-zur-Haustür-Gänge-um-zu-überprüfe-ob-man-diesmal-auch-wirklich-abgeschlossen-hat problemlos von zwei auf vier oder sogar auf fünf zu steigern.

So, das war’s für heute. Sie dürfen diesen Artikel nun gerne in ihrem eigenen Weblog oder einem Forum ihrer Wahl zitieren und dabei laut und herzhaft lachen, oder Sie blinzeln stattdessen einfach nur eine viertel Stunde lang und zerkrümeln einen Bierdeckel.

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